Politikbrief

Sehr geehrte Damen und Herren,
sehr geehrte Mandatsträger*innen,

die aktuelle Krise der Pandemie fordert fast die gesamte Aufmerksamkeit und Anstrengung aller. Viele Menschen spüren die finanziellen, existentiellen und psychischen Auswirkungen dieses Ausnahmezustands. Und doch ist Corona nur ein Vorbote dessen, was kommt, wenn Naturzerstörung und anhaltende Emissionen ökologische Katastrophen provozieren.

Mit diesem Brief informiere ich Sie über die existenzbedrohenden Folgen der voranschreitenden Klimaerwärmung auf Basis der aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse. Informieren Sie die Bevölkerung umfassend, und tragen Sie Sorge dafür, dass Klimagerechtigkeit und Nachhaltigkeit bei allen politischen Entscheidungen maßgebend werden.

Die Gefahren durch die Erderwärmung für die Welt, für Deutschland, für Bonn und für unser aller Leben sind sehr ernst. Der Klimawandel ist angekommen. Die Dürren der letzten Jahre haben zu einem beispiellosen Waldsterben geführt. Hitzetage nehmen zu, genauso wie extreme Unwetter. Aus diesen Gründen haben die Stadt Bonn – ebenso wie viele andere Städte -, das EU-Parlament sowie der UN-Generalsekretär António Guterres den Klimanotstand ausgerufen.[i] Bislang ohne konsequente Taten folgen zu lassen.

Bis zu einer Million Tier- und Pflanzenarten sind bereits vom Aussterben bedroht[ii]. Etwa 150 Arten verschwinden jeden Tag für immer von diesem Planeten.[iii] Fisch-, Amphibien-, Reptilien-, Säugetiere und Vogelpopulationen sind um ca. 2/3 zurückgegangen.[iv] Etwa die Hälfte aller Insektenarten ist vom Aussterben bedroht.[v] Eine der gravierenden Folgen der Vernichtung der natürlichen Lebensräume weltweit ist auch die steigende Gefahr von Pandemien.[vi]

Globale Auswirkungen auf die Menschheit – Gefahr des Zusammenbruchs der Zivilisation. Die Länder des globalen Südens – die geringsten Verursacher von Treibhausgasen und damit der Klimazerstörung – leiden am stärksten unter den Klimawandelfolgen. Die Klimakrise ist nicht nur tödlich für einzelne Menschen, sondern gefährdet Nationen, internationale Beziehungen, die Demokratie, den Frieden und letztlich das Überleben der menschlichen Zivilisation und Kultur.

Vermehrte Extremwetterereignisse, Überschwemmungen, Waldbrände, Dürren sowie unerträgliche Hitze und der Meeresspiegelanstieg werden voraussichtlich weite Teile der Erde unbewohnbar machen. Die weltweite Lebensmittelversorgung ist dann gefährdet.[vii] Führende Klimaforscher*innen halten bei dem sich aktuell abzeichnenden Pfad einen globalen Zusammenbruch der Gesellschaften, möglicherweise schon in wenigen Jahrzehnten, für wahrscheinlich.[viii]

Der CO2-Gehalt der Atmosphäre: weit oberhalb der sicheren Grenze und weiter steigend. Durch die Verbrennung von Kohle, Erdöl, Erdgas, durch Zementproduktion und Entwaldung ist der CO2-Gehalt der Atmosphäre von etwa 280 ppm (Teile pro Million) zu Beginn der Industrialisierung inzwischen auf 412 ppm Ende 2020 angestiegen.[ix] Dabei gelten schon 350 ppm als die maximal noch ‘sichere’ Obergrenze für das Leben auf der Erde. Zur Stabilisierung des Weltklimas muss diese Grenze noch im Laufe dieses Jahrhunderts wieder erreicht werden.[x] Auch Methan und Lachgas, die vor allem aus der Landwirtschaft und der Erdgas-, Öl- und Kohleförderung stammen, befeuern die Erderwärmung.

Die aktuelle Klimapolitik steuert auf eine lebensfeindliche Erde zu. Die globale mittlere Jahrestemperatur liegt inzwischen um 1,2 Grad über dem Niveau vor der Industrialisierung.[xi] Über Land erwärmt sich die Luft dabei noch deutlich schneller. [xii] 2020 markiert gemeinsam mit 2016 das global wärmste Jahr, wobei es sich bei den Jahresmitteltemperaturen der vergangenen sechs Jahre allesamt um die höchsten seit Beobachtungsbeginn handelt.[xiii]

Die aktuelle Klimapolitik steuert auf eine Erwärmung von 2,9 Grad bis zum Jahr 2100 zu.[xiv] Schon bei 2 Grad Erderwärmung gehen voraussichtlich große Teile der Eisschilde verlore, Korallenriffe und viele andere Ökosysteme brechen vollständig zusammen, die Großstädte rund um den Äquator werden unbewohnbar.[xv] 2 Mrd. Menschen könnten dann an Wassermangel leiden, zusätzlich sind weitere 400 Mio. hungernde Menschen und 280 Mio. Flüchtende allein aufgrund des gestiegenen Meeresspiegels zu erwarten.[xvi]

Der Präsident des Deutschen Wetterdienstes, Prof. Dr. Gerhard Adrian, sowie weitere renommierte Klimaforscher*innen gehen sogar von einem Plus von bis zu 4 Grad aus.[xvii] Schon bei der aktuellen 1,2 Grad Erwärmung sterben unsere Wälder ab. 2,9 °C Erwärmung und mehr bedeuten eine weitgehend lebensfeindliche Erde. Eine noch schnellere Hitzekatastrophe ist aufgrund der Kippelemente des Klimasystems möglich und sogar wahrscheinlich. Selbstverstärkende Prozesse beschleunigen die globale Erwärmung weiter, wie im Fall der arktischen Permafrostböden, bei deren Auftauen zusätzliche Treibhausgase frei werden. Es kann zu einer unkontrollierbaren Erwärmung lange vor dem Jahr 2100 kommen. Viele Kipppunkte gelten schon, teils viele Jahrzehnte vor dem vom Weltklimarat prognostizierten Zeitpunkt, als aktiviert.[xviii]

Es ist die Verantwortung der Politik, ihr gesamtes Handeln an diesen wissenschaftlichen Erkenntnissen auszurichten, um damit die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen (Artikel 20a GG). Hierfür ist es unerlässlich, die Bevölkerung ehrlich über die Lage aufzuklären. Den Klimanotstand ernst nehmen heißt, notfallmäßig unter Mobilisierung aller zur Verfügung stehenden Mittel, friedlich und unter Wahrung der Menschenrechte aus der fossilen Verbrennung auszusteigen![xix] Die Coronakrise hat gezeigt, wozu wir Menschen auch im globalen Maßstab in der Lage sind. Die Angst vor möglichen Widerständen und vor dem Verlust von Wähler*innenstimmen darf Sie nicht länger davon abhalten, drastische Maßnahmen, wie einen radikalen Systemwandel, zu ergreifen. Klimagerechte Politik ist der einzige Ausweg zum Erhalt unserer Lebensgrundlagen, zu sauberer Luft und trinkbarem Wasser, zu Artenvielfalt, gesicherten Arbeitsplätzen und Frieden in der Welt.

Machen Sie sich stark für repräsentative, objektiv informierte und unabhängige Bürger*innen-Versammlungen zur Durchsetzung unbequemer aber notwendiger Maßnahmen.[xx] Die 1,5-Grad-Grenze aus dem Pariser Klimaabkommen kann und muss gesellschaftlich wie parlamentarisch mehrheitsfähig werden.

Als politisch Verantwortliche stehen Sie heute vor der wohl größten Herausforderung in der Menschheitsgeschichte. Erkennen Sie die Versäumnisse der Politik der vergangenen Jahrzehnte an. Der Klimanotstand zwingt uns alle, den Tatsachen ins Auge zu sehen, unsere Gewohnheiten zu überdenken und endlich entschlossen zu handeln.

Mit freundlichen Grüßen

 

 

Quellenangaben

[i] Stadt Bonn, https://www.bonn.de/pressemitteilungen/2019/juli/rat-der-stadt-bonn-erklaert-klimanotstand.php

EU-Parlament, https://www.europarl.europa.eu/news/de/press-room/20191121IPR67110/europaisches-parlament-ruft-klimanotstand-aus

Weltspiegel, https://www.ardmediathek.de/daserste/video/weltspiegel/un-generalsekretaer-guterres-erklaert-den-klimanotstand/das-erste/

[ii] IPBES, https://www.de-ipbes.de/de/Globales-IPBES-Assessment-zu-Biodiversitat-und-Okosystemleistungen-1934.html

[iii] WWF, NABU, https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/tiere/150-arten-sterben-pro-tag-aus-groesstes-artensterben-seit-ende-der-dinosaurier-zeit-droht-16660249.html

[iv] WWF, https://www.wwf.de/living-planet-report/

[v] Biological Conservation, https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0006320718313636

[vi] IPBES, https://www.de-ipbes.de/de/IPBES-Workshop-Bericht-zu-Biodiversitat-und-Pandemien-2075.html

[vii] Wallace-Wells, Die unbewohnbare Erde, 2019

[viii] Steffen, https://voiceofaction.org/collapse-of-civilisation-is-the-most-likely-outcome-top-climate-scientists/

[ix] ETH Zürich, https://nachrichten.idw-online.de/2020/10/27/blick-zurueck-auf-das-klima-der-zukunft/

[x] Hansen, http://www.klimastadt-konstanz.de/hintergruende/350-ppm-die-vielleicht-wichtigste-zahl-der-welt.html

[xi] UNRIC, https://unric.org/de/08012021klima/

[xii] Scientists Rebellion, https://scientistrebellion.com/science/

[xiii] Copernicus Climate Change Service, https://climate.copernicus.eu/index.php/2020-warmest-year-record-europe-globally-2020-ties-2016-warmest-year-recorded

[xiv] Climate Action Tracker, https://climateactiontracker.org/global/cat-thermometer/

[xv] Wallace-Wells, Die unbewohnbare Erde, 2019

[xvi] Weltbank, https://www.welthungerhilfe.de/fileadmin/pictures/publications/de/position_papers/2019-brennpunkt-1-2019-klimawandel-hunger.pdf

IPCC, https://www.tagesspiegel.de/politik/meeresspiegel-anstieg-bis-2100-weltklimarat-rechnet-mit-280-millionen-fluechtlingen/24957210.html

[xvii] Adrian, https://www.dwd.de/DE/presse/pressemitteilungen/DE/2021/20200317_pressemitteilung_klima_pk_news.html

Rockström, https://medium.com/@rchrdhy/johan-rockstr%C3%B6ms-10-point-agenda-for-saving-the-world-unofficial-transcript-431261f885c6

Anderson, https://www.greenpeace.org/international/story/18394/rex-weyler-hothouse-earth/

[xviii] Nature, https://www.nature.com/articles/d41586-019-03595-0

Lenton, http://www.exeter.ac.uk/news/featurednews/title_767753_en.html

Taz, https://taz.de/Hitze-in-der-Arktis-ueberrascht-Forscher/!5604245/6666

[xix] Breakthrough, https://www.agentur-zukunft.eu/2019/11/in-nur-30-jahren-koennte-unsere-ausloeschung-beginnen/

Nature, https://www.businessinsider.de/wissenschaft/so-koennte-der-klimawandel-laut-forschern-noch-aufgehalten-werden-2019-1/

[xx] Extinction Rebellion, https://extinctionrebellion.de/wer-wir-sind/unsere-forderungen/bv/